Was ist die Urkalkulation noch Wert? – Vergütungsanpassung infolge von Nachtragsleistungen

Am Bau ist es gang und gäbe, dass die durch den Auftragnehmer geltend gemachten Vergütungsanpassungen infolge von Nachtragsleistungen durch den Auftraggeber dem Grunde (Anspruch berechtigt?!) sowie der Höhe nach (sachgerechte Mehrkostenforderung?!) geprüft und anschließend verhandelt werden.

Unterstellt, dass der Anspruch dem Grunde nach unstreitig ist, kann im Zuge der baubetrieblichen Preisprüfung leider oftmals festgestellt werden, dass sich die Kalkulatoren der Nachtragsangebote regelmäßig abenteuerliche Kostenblöcke herbeifantasieren, um die Nachtragsvergütung nach oben zu treiben. Hier ist es Aufgabe des Preisprüfers sachgerecht festzustellen, welche Teilleistungen sich infolge der Leistungsänderung (§ 2 Abs. 5 VOB/ B) ergeben respektive welche Teilleistungen für eine Zusatzleistung (§ 2 Abs. 6 VOB/ B) für die Realisierung erforderlich sind.

Abschließend gilt es die Angemessenheit der Mehrvergütung festzustellen. Bereits hier sind unterschiedliche Sichtweisen vorhanden. Um die gängigsten Modelle zu erwähnen: kalkulatorische Preisfortschreibung, IST-Kosten/Selbstkosten, Ortsüblichkeit. Selbstverständlich kann zu den Einzelthemen umfangreich ausgeführt werden. Folgend wird Bezug auf die Grundlagen der VOB mit Hinweis auf das BGB genommen.

Nach Wortlaut der VOB/ B im § 2 Abs. 5 und Abs. 6 ist bei der Neubewertung des Preises auf die Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung, unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten der geänderten Leistung, abzustellen.

Das ab dem 01.01.2018 in das BGB eingeführte Bauvertragsrecht gibt im § 650c vor, dass die tatsächlich erforderlichen Kosten heranzuziehen sind. Inwiefern “tatsächliche Kosten” von “tatsächlich erforderliche Kosten” abzugrenzen sind, wird in den kommenden Jahren in der Bauwelt noch lebhaft zu diskutieren sein. Wir beschäftigen uns zu einem späteren Zeitpunkt hiermit nochmals gesondert.

Mit Urteil vom 27.08.2019 hat das Kammergericht entschieden (Az.: 21 U 160/18), dass es bei einem Mehrvergütungsanspruch auf Basis der VOB nicht auf die kalkulatorische Mehrkostenbewertung, sondern auf die tatsächlichen Mehr- und Minderkosten ankäme.

Es käme demnach nicht auf die kalkulierten Urpreise des Auftragnehmers an. Diese wären lediglich Hilfsmittel für die Feststellung der Kostendifferenz zwischen Leistungs-SOLL und Leistungsmodifikation. Entscheidend sei, welche Kosten dem Auftragnehmer entstanden wären, sofern es nicht zur Leistungsmodifikation gekommen wäre. Von kalkulatorisch angesetzten Kosten ist nicht die Rede.

Weiterhin lässt sich aus diesem KG-Urteil aus baubetrieblicher Sicht entnehmen, dass diese IST-Kostendifferenz, also tatsächliche IST-Kosten der Modifikation abzüglich tatsächliche IST-Kosten des Leistungs-SOLLs, dann auf Basis der (unstreitigen) Urkalkulation fortschreibungsfähig sind.

Beispiel:

Hat der Auftragnehmer in seiner Urkalkulation für ein beauftragtes Fliesenfabrikat 50 €netto je m² einkalkuliert, die tatsächlichen Kosten betragen jedoch 40 €netto, so ergibt sich zunächst ein „verdeckter“ Gewinn von 10 €netto. Fordert der Auftraggeber nun ein höherwertiges Produkt mit tatsächlichen Kosten von 75 €netto, betragen die tatsächlichen Mehrkosten 35 €netto.

Baubetriebswirtschaftlich kann daher nur konsequent und richtig sein, dass der Auftragnehmer eine Zulage in Bezug zum Urpreis bildet. Diese ergibt sich zu 40 €netto + 35 €netto-Mehrkosten + 10 €netto-Kalkulationsgewinn = 85 €netto – 50 €netto Urpreis = 35 €netto.

Vor dem Hintergrund der „nicht-schlechter/nicht-besser“-Stellung im Zuge eines Kooperationsvertrages sollte dieses der auch aus rechtlicher Sicht gangbare Weg sein. Gestützt wird dieser Gedanke unter anderem im Zuge freier Kündigungen nach § 8 der VOB/ B. Weiterhin widerspricht diese Herangehensweise aus baubetrieblicher Sicht in keiner Weise den Vorgaben des Bundesgerichtshofes (u. a. BGH BauR 1999, 897).

Dieses kann sich je nach Einzelfall zum Vorteil oder Nachteil des Auftragnehmers entwickeln. (guter Preis/ schlechter Preis)

Fraglich ist im Sinne der VOB/ B, das im Idealfall das Nachtragsangebot vor der Ausführung vorzulegen wäre. Oftmals ist jedoch bei größeren Bauvorhaben gar nicht möglich, bereits dann tatsächliche IST-Kosten feststellen. Ebenfalls fraglich ist, ob der Auftragnehmer überhaupt sachgerecht die Möglichkeit hat, die tatsächlichen IST-Kosten der eigentlichen Vertragsleistung nachweisen zu können.

Die Rechtsprechung ist aus baubetrieblicher Sicht nicht immer konsequent im Einvernehmen mit der Baurealisierung umsetzbar. Vor diesem Hintergrund ist es elementar, dass sich die Vertragspartner gegebenenfalls bereits vorvertraglich einen anzuwendenden Weg zur einvernehmlichen Vergütungsanpassung festlegen. Dieses spart zeit und grenzt Unklarheiten ein.

Rückblickend und/oder vorausschauend kann mit Hinblick auf die bestehenden unterschiedlichen Sichtweisen zur sachgerechten Vergütungsermittlung bei Nachtragsleistungen festgehalten werden: ALLES BLEIBT ANDERS!

Denn „den einen Weg“ gab es und wird es auch zukünftig nicht geben!

Gleichsam gilt es, Nachtragsangebote baubetrieblich sach- und fachgerecht aufzustellen. Je höher die Nachtragsforderungen sind, desto intensiver sollte die Auseinandersetzung mit den einzelnen Umständen und Kostenfaktoren sein. Hierbei unterstützt projekt-bau GbR seit Firmengründung die jeweiligen Vertragspartner.